Mittwoch, 17. Mai 2017

draw a distinction

UNTERSCHEIDUNG

LIeber Stefan !

Der Satz von Paul Watzlawick:
" Du kannst nicht nicht unterscheiden",
den Du immer wieder bringst und den Du mit dem Anfang der Bibel, dem Pentateuch, der
"Scheidung von Himmel und Erde, und siehe ein Universum entstand"
einen Schöpfungsgestus verleihst,
wird dann nochmal  durch einen Satz von Dirk Baecker: "Draw a distinction. Watch its form. Work its unrest. Know your ignorance."
verstärkt und damit zur Grundlage allen Denkens erklärt

Es ist zu vermuten, ein Autor, der mit solchen Geschützen auffährt, ist durch einen Theorieansatz, den ich als Konstruktivismus bezeichne, für alle Gegenargumente immunisiert.

Meist axiomatisch gefasst, bauen sich Konstruktivisten eine Welt neben der Welt in logischer Form, die in der Anwendung geeignet ist, in die wirkliche Welt einzugreifen, sie zu erklären usw. Andere Methoden, sich der Welt anzunähern, sind aus der Sicht, eben andere Formen Welt zu erklären.

Widersprüche dazu werden nur dann in diese Theorien aufgenommen, wenn ihreVerfassung dadurch verbessert werden kann, alle anderen Widersprüche werden abgewehrt!

Ein Biochemiker würde seine Existenz gefährden, gäbe er zu, seine synthetisch erzeugten Pflanzenextrakte hätten eine schlechtere Wirkung als die durch Pflanzenauszüge gewonnenen.

So galt die Atomphysik lange als das Modell der Welterklärung, bis gesehen wurde, dass damit die Welt nicht nur erklärt, sondern auch zerstört werden kann.

Bei Stefan kommt aber noch dazu, dass er sich ja zur Lebensaufgabe gestellt hat, Computer zu sein, um dadurch am eigenen Leib den Versuch durchzuführen, wie diese höheren Wesen wirken und wie sie die Menschen in Zukunft beeinflussen werden.

Dass so ein Leben nur als Künstler funktionieren kann, der sich dem Spiel aussetzt, ist hier auch zu bedenken.

Der Schluss daraus kann nur sein: Ich denke über den Begriff der Unterscheidung nach, um mein Unbehagen zu ergründen und auszuformulieren, überzeugen will ich damit niemanden und schon gar nicht den Stefan!




So beginne ich mit der Frage:Was geschieht, wenn ich der "Unterscheidung" den Primat im Denkakt zuweise?

Schau ich auf das Denken, das ich auf Wahrnehmungen, auf Bilder, auf Begriffe, auf all das, was vorgegeben ist anwende, sieht es auf den ersten Blick danach aus, als wäre das Unterscheiden der erste Denkakt.

In der Kunstgeschichte werden, Bilder, Skulpturen,
Bauwerke verglichen, Ähnliches wird für alle anderen Wissenschaften gelten, steigen sie nicht gleich mit einem bewertendem kategorialem System ein, wie dies ja heute überall der Fall ist.

Aber ist das System der Systemtheorie, das Atom der Physik , das Molekül der Chemie - Spezialisten werden hier Aktuelleres einzufüllen haben - nicht der Vergleichsmaßstab für Unterscheidungen?

Auch in Theorien werden Begriffe, Aussagen verglichen und unterschieden.

Auch sofern scheint das Anfängliche dem Unterscheiden eigen zu sein.

Ich muss ein Gleiches voraussetzen, um vergleichen zu können und es muss etwas Vergleichbares geben, um zu unterscheiden. Was auch heißt, im Unterscheiden ist ein Gleiches implizit oder explizit vorausgesetzt.

Insofern funktioniert der Satz, "es kann nicht nicht unterschieden werden" innerhalb eines Ganzen dem ein-, zu-, untergeordnet wird.

Zwischen Ungleichem kann nicht verglichen werden. Gibt es nichts Gleiches, braucht auch nicht eine Unterscheidung getroffen werden, denn es ist ja geschieden.
Außer, es wird behauptet, der Vorgang des Unterscheidens stellt immer ein Gleiches her im Unterscheiden.

Was auch so ist! Wir werden darauf noch zurückkommen.

Vorher hätte ich mir noch gerne das Ent- und das Scheiden der Entscheidung angesehen.

Scheiden ist trennen, die Wasserscheide trennt den Lauf der Gewässer. Geschieden kann nur werden wo getrennt werden kann. Schon Getrenntes kann nochmal und nochmal getrennt werden, aber nur in sich, wenn ein anderes von ihm getrennt wird, z.B der Schmutz aus dem Gewässer, so ist das eine andere Art der Unterscheidung.

Es wird nicht im Gleichen geschieden, sondern es wird etwas ausgeschieden, bzw. in das Eine und das Andere geschieden.


Zueinander,
Miteinander,
Füreinander und unter-einander, in dem das Durcheinander mitklingt.

Das Unter- des Unter-Scheidens ist räumlich und hierarchisch connotiert und bezieht sich auf Versammeltes, das noch nicht die Ordnung hat, die es durch das Tätige, in dem Fall das Scheiden bekommt.

Im Unterscheiden wird das Eine zum Anderen, das von dem Einen getrennt, geschieden wird.

Das Eine vom Anderen kann im Werden nicht getrennt werden, trenne ich das Werden in Sequenzen, habe ich es zerteilt, habe unterschieden, damit ist es aber auch kein Werden mehr.


Ein Teilchenbeschleuniger erzählte mir von seiner Erfindung: Das Problem bei Laser-Aufnahmen von lebender Substanz sei, dass die Strahlen dies abtöten würden und wir demzufolge nur Skelette abgebildet haben. Sind die Teilchen aber schneller als das Absterben, kann er Bilder des Lebendigen herstellen - nur, absterben wird die lebende Substanz letztlich immer.

Auch wenn er das Werden im Ent-Werden austrickst und Bilder von ihm bekommt, hat er damit das Werden zerstört.

Nehmen wir an, wir könnten, abgesehen vom Werden alles unterscheiden , da im Unterscheiden so etwas wie ein Uranfang im Denken geschieht - worauf ja das Bibelzitat hinweisen will -  dann wäre Unterscheiden
voraussetzungslos. (Nach E. Husserl ein philosophischer Blödsinn)

Wir könnten in jedem Unterscheiden neu beginnen, indem wir
Himmel von Erde,
Schrift von Sprache,
Religion von Wissenschaft unterscheiden.
Indem wir alles Vorhandene, Bäume, Menschen, Mein - Dein, Herr - Knecht, Fingernägel vom Finger, Tassen, Kaffeesorten und all die anderen Konsumgüter unterscheiden.

Die Kritik der Phänomenologie an solch vermeintlichem Beginn argumentiert damit, dass wir immer schon in Bedeutungszusammenhänge eingebunden sind und wir mit dem Denken nicht neu beginnen können. Oder anders, wenn wir unterscheiden ist schon vielfach unterschieden, das gilt es herauszufinden.

Aber gerade der Konsum übt uns doch täglich ins Unterscheiden ein, ohne dass wir uns dem entziehen könnten, außer wir würden Selbstversorger.

Der Konsum macht - wie das Unterscheiden selbst - alles gleich, denn im Vollzug des Unterscheidens wird das Unterschiedene gleichgemacht.

Das Gemeinsame ist dann, dass sie geschieden sind.

Es ist wie das tote Spiegelbild des Werdens, ein permanenter Stillstand in Bewegung.

Unterscheiden absolut gesetzt ignoriert das, 
was nicht zu scheiden ist, vergisst, 
dass scheiden trennt, oder
schon geschieden wurde,
dass Scheiden eindeutig aktiv ist,
erzwingt Gemeinsamkeiten im Trennenden.
Im Unterscheiden wird nicht gesehen wie 
das Eine in das Andere übergeht,
dass Scheiden eine moralische Norm ist: 
"Jetzt entscheid dich endlich!"

Schauen wir uns aber doch noch an, wie im alltäglichen Leben Unterscheiden stattfindet.

Unterscheiden scheint im Alltag zentral zu sein:
Was tut mir gut, was nicht?
Was ist zweckmäßig, gesund,
erfolgversprechend?
Was ist Gut oder Böse?
Ist das gerecht , ungerecht?
Darf ich das?
Bin ich gefordert, gefragt, beliebt,
werd ich gesehen, geschätzt usw. ?
Ist das schön ?

Mein unterscheidendes Urteil ist gefragt.
Unter-scheiden ist die Voraussetzung für Ent-Scheidung und beides sind Urteile.

Jeder kennt aber auch die Situation, wo es besser gewesen wäre, nicht zu urteilen, ein Urteil nicht auszusprechen,
Wo es besser gewesen wäre, sich nicht für oder gegen etwas zu entscheiden, es besser gewesen wäre, man hätte alles offen gelassen.

Und jeder weiß, dass obwohl das Leben permanent Entscheidungen  - vorausgesetzt ist, ich kann unterscheiden - fordert, wir oft die falschen treffen oder die richtigen zu schnell, zu spät getroffen und oft ist man überhaupt nicht fähig, Unterscheidungen zu treffen.

Weil wir so "wie immer" tun, weil alles eher diffus ist, weil es zu anstrengend ist, ich dazu nicht fähig bin, ich nicht weiß, was ich da unter-entscheiden sollte, weil ich es so lassen kann und mich nicht entscheiden will und schon gar nicht unterscheiden will um mich dann zu entscheiden.

Ich hab immer wieder beobachtet, wie kleine Kinder das und jenes nicht essen wollen und bei allem, was sie vorgesetzt bekamen, quengelten, dann beobachtet ich, wie deren Eltern das Kind immer fragten, "Magst du das? Magst du lieber dieses?, Dabei waren die Kinder völlig mit diesen Entscheidungssituationen überfordert. Vielleicht haben die Eltern ja auch Watzlawik als Erziehungshilfe genossen?

Dazu kommt Folgendes: Sehen wir auf den Alltag, so müssen wir feststellen, das meiste ist schon ent- und unterschieden. In  meinem Leben kommt es mehr darauf an , wie ich mich in dem Vorgegebenem bewege, wie ich mich besser nicht entscheide, Entscheidungen, die nur vorgeben Entscheidungen zu sein, umgehe, um für Wesentliches Zeit und Aufmerksamkeit zu haben.

Es wäre Heroismus zu behaupten, ich könnte mich für das Wesentliche entscheiden Man nimmt sich eher etwas heraus , trickst sich und andere aus, schiebt Dinge zur Seite, ignoriert, vergisst schnell, tut einfach irgendetwas,  mal sehen was wird, hat sich Regelmäßigkeit angewöhnt - so etwa - aber unterscheiden ? Was unterscheide ich da, außer, dass ich von etwas absehen muss, das könnte dann als Unterscheiden bezeichnet werden?

Schaue ich in meinem Leben auf die sogenannten großen Entscheidungen, so wurden sie im Nachhinein zu solchen, damals konnte ich nicht anders, tat es einfach, ohne genau zu wissen was ich tat und welche Folgen es haben wird, hatte den Mut dazu, ging das Wagnis ein, wusste irgendwie, was ich nicht tun wollte, wusste irgendwie die Richtung und habe es gemacht.

Die Klarheit, welche das Wort Unterscheiden vermittelt, wo geschieden wird, hatte ich nicht. Wenn ich im Nachhinein viel weglasse, könnten diese Handlungen  unwahrheitsgemäß als Unter-, als Entscheidung beschrieben werden.

Ich möchte jetzt noch einen abseitigen Bereich, den Kunstbereich herholen, an dem aufgezeigt werden kann, wie dort Unterscheiden funktioniert und wie es auch umgangen wird.

Vorher möchte ich aber noch zum Alltag ergänzen:
Was Takt , Benehmen, der gute Stil, die Etikette genannt wird, all das versammelt Verhaltensweisen, die ausgebildet wurden, um der Brutalität des Urteilens - Unterscheiden ist nichts anderes als Urteilen - zu entgehen, es zu umgehen, es einzukleiden, wobei damit das Urteil meist mit noch schärferer Klinge vollstreckt wird.

Denen, die sich im Kunstbereich bewegen, muss aufgefallen sein, dass, abgesehen von Werbezwecken, Urteile, die lauten wie gute, schlechte Ku eher umgangen werden. Am Getue rundherum kann dann abgelesen werden, wie bedeutend das Kunstwerk, die Künstlerin ist. Nur Kampfkünstler und ebensolche Kritiker unterscheiden eindeutig zwischen guter und schlechter Kunst, ansonsten wird Zurückhaltung geübt, außer es handelt sich um eine unumstrittene Größe, dann braucht der Urteilende nicht die Verantwortung für sein Urteil auf sich zu nehmen und kann sich ungehemmt der Bewunderung hingeben oder sich darüber ereifern, wieso gerade diese Kunst als gut empfunden wird, denn das sei ihm unverständlich.

Interessanter wird es bei nicht schon ausgestellter, etablierter Kunst , bei Kunst im Entstehen, an Akademien, in Ateliers, in der Werkstatt, am Computer.

Wieder kann der Unterscheider behaupten, den Vorgang unterscheidend beschreiben zu können.
Daran, dass der Künstler, der Erfinder, der Denkende sich zurückzieht, dass zwischen der Inkubationsphase, der Produktionsphase, der Repetitionsphase, der Lagerung und was einem da nicht alles einfällt, unterschieden werden kann.

Das wäre die Außensicht, die Innensicht, die der im Vollzug ist,nicht sieht, ergibt ein völlig anderes Bild.

Sein sich Abschließen ist ein Öffnen, bei der das Gegenteil von Konzentration nämlich sich ablenken genau das Entsprechende sein kann.

Der Maler zeigt sein Bild nicht, solange es nicht fertig ist, dann kommt doch jemand, sagt etwas dazu und das Bild kann abgeschlossen werden,

Der Maler hat sich abgeschieden, um sich zu öffnen. Schaue ich nur das Scheiden an sehe ich nur das Getrennte, das aber in dem Falle überhaupt das Verbundene ist.

Denn sein Öffnen und sich darin abschließen ist ein Verbundensein.

Schaue ich auf das Verbundensein, ist das Scheidende einmal so, dann so, wie eine durchlässige Membrane, die oszilliert.

Wenn wir jetzt auf das Inneren des Werdens sehen, kann auch der Zeichner und Maler, der ich bin, zu Wort kommen.

"Draw a distinction " hast Du gepostet.

Sehr schön, da zeichnen geradezu scheidet. Eine Linie scheidet, das ist eine der Ausdrucksmöglichkeiten einer Linie. Paul Klee hat noch andere Ausdrücke von Linien angegeben, wie die der Richtung usw.

Vorher war nichts, ein leeres Blatt, dann ziehe ich eine Linie in der Mitte des Blattes. Wo vorher nichts war, ist immer noch nichts, das ich aber als oben und unten, Himmel und Erde usw. ansehen kann.

Wirklich ist das nicht, aber auch nicht unwirklich, eher symbolisch. Und wenn das Handlung sein soll, dann eine symbolische.

So charakterisiert die gezeichnete Linie präzise, was das Wesen der Unterscheidung ist: Eines das in seiner Bedeutung von der einen zur anderen Seite changiert. Ein brauchbares Wesen, das gerne dient, aber selbst sich entzieht, da es immer gerade auf der anderen Seite ist.

Befragen ich Unterscheidung als Maler - für den Unterscheidung noch viel differenzierter erscheint als für den Zeichner - komme ich zu einem bemerkenswertem Ergebnis:

Dem Maler steht die ganze Palette von Unterscheidungen zur Verfügung, wobei die Skala, in der Unterscheidung noch als sinnvolle Bezeichnung angebracht ist, ein nicht zu kleines Davor und Dahinter aufweist.

Ja, ein Beckmann gehört mit seiner kontrastreichen Malerei noch ins Unterscheidbare, ein Rothko schon nicht mehr, er geht wie ein Rembrandt weit darüber hinaus.

In den späten Selbstbildnissen von Rembrandt ist weder die Farb- noch die Formvielfalt benennbar, unterscheidbar.

Was da auftritt ist mit so grobem Instrument wie Unterscheidbarkeit nicht mehr zu fassen, da können die Rationalisten mit ihren Ohren wackeln, wie sie wollen, und können deren Ohren noch so groß sein, Elefanten werden sie doch nicht!


GL

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