"der letzte Mensch" F. Nietzsche, Zeichnung G.L. |
Für das Pauliner Forum Dez. 2016
„Veränderung und Kontinuität“
So lautet das Thema, zu dem mich Markus Anker um einen
Beitrag bat. Er, der über Jahre am Philosophicum teilgenommen hatte ahnte
sicher, was da auf ihn zukommen wird:
Martin Heidegger – den Peter Sloterdijk als den Kyniker des
20ten Jahrhunderts bezeichnet[1]- würde gesagt haben: Kontinuität hat das
SEIN. Jenes Sein, das Friedrich Nietzsche im Bild einer Pforte, über der
„Augenblick“ steht, erkannte und dabei zutiefst erschrak. Die Pforte liegt an
der Kreuzung zweier Wege, einem, der aus unendlicher Vergangenheit kommt und
einem, der in die ewiger Zukunft führt.[2]
Erschauernd erkannte er, wie der Augenblick – das Sein – die
Vergangenheit die Zukunft verzehrt, sich wie eine Schlange im Menschen
festbeißt, die (die Zeit) zu entreißen, er nicht wagte.
M. Heidegger zufolge ereignet sich das Sein im Dasein, das,
bei aller Veränderung, immer schon da ist.
Sein als Dasein ist das Kontinuierliche, aus dem Zeit sich
erst erschließen lässt, die, als vorhanden, wie ein Ding nicht vorausgesetzt
werden kann.
Sein
als Dasein ist immer bezüglich, auf das, worin es ist, von dem es kommt, auf
das, worauf es sich bezieht.
Sein, als „sorgendes
Dasein“ ist sich selbst immer schon voraus, es bezieht sich als Augenblick
immer schon auf Zukunft. Sorgen heißt ja, sich fragen, was ich tun kann,
tun muss, tun werde, sein lasse ....
Das sorgende Dasein erschließt Zukunft ohne
Schlussfolgerung, es bringt Zukunft aus dem Zustand der Sorge, aus sich selbst
hervor. Das Sorgende des Daseins erschließt aus sich das Wissen, dass das immer
so war und nie anders gewesen sein kann. Dass die Sorge eine andere war, andere
Bezüge hatte, andere Sorge war, ergibt sich aus dem, dass sie immer schon ist.
Wieso führe ich dies hier aus? Aus der ausführlichen
Sichtung des sorgenden Daseins konnte Martin Heidegger die Seinsvergessenheit
unserer Gegenwart erkennen.
Um die Dimension dieser Kritik zu ermessen, ist die
Heideggersche Unterscheidung von Dasein und Vorhandensein entscheidend. Im
Dasein ist Fühlen und Denken in einem unentwirrbaren Gemenge das
existenzbestimmende, während das Vorhandensein nur das ist, was äußerlich
bleibt, die lexikalische, enzyklopädische Summe der Dinge, möglicher Ereignisse
und Geschehnisse, eben das, was da draußen ist.
Die Verwechslung von Dasein mit Vorhandensein ist der Grund
der kritisierten Seinsvergessenheit des Gegenwartsmenschen. Hier ließe sich
einfach eine Kritik am materialistisch gierigen, konsumorientierten
Zeitgenossen anschließen. Was aber nicht so gemeint ist, denn Heidegger kritisiert
nicht, dass das so ist, sondern dass wir vergessen haben, auf das Sein zu
hören, dass wir die Lichtung vor lauter Wald nicht mehr erkennen, wir keine
Organe mehr ausgebildet haben, um auf die lauten wie leise Rufe des Seins zu
hören.
Was das sein mag, lasse ich jetzt noch im Vagen.[3]
----------------------------------------------------------------(erster
Teil Ende)
Markus, da Du mich kennst, musst Du auch gewusst haben, dass
ich das Thema „Veränderung und Kontinuität“ weder in Bezug auf das Paulinum,
noch in Bezug auf die Kirche ausführen werde. Dazu gibt es andere Berufene. Als
stoisch geschulter Philosoph denke ich nur über das nach, was ich beeinflussen
kann, nämlich meine Gedanken. Deshalb weiter im Text:
Ich komme jetzt zu Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der das
Sein in unvermitteltes und vermitteltes Dasein scheidet. Dasein ist für ihn
nicht das existenziell geworfen Sein, das Sein auf den Tod hin (M. Heidegger),
sondern für ihn ist das Dasein von vorneherein und von Anbeginn ein Sein, das uns
durch Sprache, Kultur, Ritus als Sein vermittelt ist.
Hegels denkendes Beobachten richtet sich ganz auf das, was
geschieht, wenn ein Begriff, ein Wort, ein Zeichen gesetzt wird und was im Zuge
dieser Setzung, Einführung, Bezeichnung, dieser Nennung geistig geschieht.
Sein Hauptwerk heißt ja bezeichnender Weise „Phänomenologie
des Geistes“. Er knüpft in seinen Beobachtung an älteste menschliche
Erfahrungen an, die im ersten Gebot gefasst sind und das ich jetzt ohne
nachzuschauen, und mit der Bitte um philologisch theologische Absolution
einfach: „Du sollst Dir kein Bild von Gott machen!“ nennen werde, bzw.: “Nenne
Gott nicht mit Namen und wenn, gib ihm hundert Namen“.
Diese in einem Gebot gefasste Erfahrung ist die des
Menschen, der seiner Sprache mächtig wird und sogleich das Übermächtige der
Sprache wahrnimmt, die sich seiner Gefühle, Stimmungen, seiner Welt bemächtigt,
sie ihm gibt und sie ihm entzieht. Indem er sie anstimmt, bestimmt sie ihn,
bestimmt er die Welt, was da erklungen ist plötzlich da, was gebranntmarkt ist
fort, das Tier, das er anspricht ist verscheucht, verjagt. Indem er es benennt,
weiß er nicht mehr, ist es noch da, nur in ihm, hat er es eingefangen und
gebannt oder hat es ihn gefangen .....
G.W.F. Hegel differenziert den Vorgang der Vermittlung des
Seins aus und nennt den Vorgang „Negation“. Und genau an dieser Stelle findet
in der Interpretation von Hegel das statt, was er anspricht: „Negation“. Denn
diese „Negation“ wird meist als ein moralischer Begriff verstanden. Moral ist aber
das genaue Gegenteil dessen, was Hegel mit „Negation“ sagt.
Der Begriff der Negation erwächst aus der
erkenntnistheoretischen Einsicht der „Phänomenologie des Geistes“ – in der das
Phänomen des Geistes befragt wird. Mit der Setzung eines Begriffes findet eine
Grenzziehung statt. Diese Grenzziehung ist Negation, der die Ein- und
Ausgrenzung folgt. So wie zu Weihnachten die Oma die Kekse aussticht und immer
einen Restteig hat, so schafft jede Grenzsetzung als Negation sein Innen und
Außen: Nur dadurch, dass es sich abgrenzt, ist es.
Das heißt bei Hegel: „Negation“! Damit geht aber der Vorgang
einher, dass nicht nur das Eine das Andere schafft, sondern dass das Andere
durch die Setzung des Einen bedingt ist. Dass nicht nur der Herr den Knecht
bedingt, sondern der Knecht ebenso den Herren schafft, ihn zu seiner Existenz
braucht.
Aber auch das Vermittelte und Unvermittelte bleibt durch die
Vermittlung nicht unbeeinflusst. Das Vermittelte – das durch Sprache
entstandene – wird als das
Unmittelbare, Natürlichste erlebt.
Diese erkenntnistheoretische Einsicht führte zu dem, was
später summa summarum „Dialektik
der Aufklärung“ genannt wurde und das in einer Grafik von Francisco de Goya aus den Caprichos: „Der Schlaf
der Vernunft gebiert Ungeheuer“ so schön dargestellt ist.
Ein Denker am Schreibtisch wird von den Geistern, die er
rief, attackiert, von dem, was er ein- und ausgrenzte, verfolgt. Was wir über
ihn, in der Nacht schwebend erkennen, das was ihn attackiert, ist dasselbe was
Oma beim Keksebacken immer wieder zusammenknetet und noch mal ausrollt, wieder
aussticht und den Rest nochmal verknetet, so lange bis sie nur noch Krümel vom
Tisch wischt.
Denjenigen, die die Denkfolgen von Hegel über mehr als ein
Jahrhundert als „Nihilismus“ abzuwehren versuchten, liegt der ungebackene Teig
der Weihnachtskekse immer noch im Magen und verfolgt sie in der Nacht.
Die Naturwissenschaften bringen täglich abertausend neue
Erkenntnisse hervor, so, dass Fachspezialisten oft nicht mal mehr wissen, wo
ihre Kekse vom letzten Weihnachten geblieben sind, so komplex ist alleine
Umfang, Zu- und Einordnung geworden. Krankheiten, Natur, und die soziale
Wirklichkeit zeigen uns täglich was wir alles falsch machen.
Das Wissen hat im Schlepp die Angst, was können Bakterien,
Viren, Gase, die Radioaktivität anrichten, was macht der Andere, ob aus
Unvorsicht, Unwissen, Bosheit, Habgier oder in terroristischer Absicht.
Die Aufklärung und mit ihr die moderne Öffentlichkeit zeigt,
was geschieht, wenn die Medien aus jedem Ereignissen und Unglück
Weihnachtskekse backen wollen.
Die Politik gewinnt durch Öffentlichkeit und verliert durch
sie, indem sie einerseits informiert, aber auch schwer manipuliert. Die
Aufklärung forderte Information und Transparenz, heute versteckt sich hinter
Transparenz Kontrolle. Information nützt dem Terror und verstärkt seine
Sprengkraft giga-mäßig.
Um nur einige Widersprüche aufzuzählen die uns G.W.F. Hegel
durch seine scharfe Analyse der Phänomene des Geistes zu erkennen möglich
machte.[4]
Nicolaus
Cusanus, Bischof von Brixen, der in einer noch nicht wahrgenommene
Kontinuität des Paulinums steht, hat für die Sichtung und Diagnostik der
Gegenwart, mit seiner Wissenschaft vom Nichtwissen (doctam ignorantiam),
Entscheidendes bereitet.
Die oben angedeutete, von Hegel ausgearbeitet Sicht, auf
das, was wir durch unser Wissen abgrenzen, ausgrenzen, zurückdrängen, nämlich
unser Nichtwissen, erfordert eine erneuerte „Wissenschaft vom Nichtwissen“.
Bedeutend klingende Worte, die aber das Einfachste meinen
und auch eine Ahnung von dem vermitteln was Heidegger „Seinsgewissheit“ – ein
Widerspruch in sich - nannte.
Das, was wir wie selbstverständlich praktizieren, wenn wir
eine Pflanze gießen, den Wald, das Meer, die Bäche, die Natur, unsere
Gesundheit oder jemanden anderen pflegen. Über all das wissen wir viel, aber
das Entscheidende tun wir im Vertrauen, dass es das Richtige ist. Ärzte und
Lehrer wissen sehr viel über Medizin, Pädagogik und über ihr Spezialfach,
handeln müssen sie mit Mut und Vertrauen, dass es gelingen mag! So etwas ganz
Einfaches scheint mir die „De docta ignorantia“ zu sein. Die Wissenschaft der
vertrauten Gewissheit in das eigene Schicksal und Tun und das Wissen darum –
das kann auch Dummheit genannt werden – dass, wer handelt, auch etwas anrichten
wird.[5]
[2] Friedrich
Nietzsche „Also sprach Zarathustra“ Kritische Studienausgabe, Hrsg. Giorgio
Colli und Mazzino Montinari, de Gruyter, 1999.
[3] Martin
Heidegger „Sein und Zeit“. Hrsg. von Friedrich-Wilhelm
von Herrmann, Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1977.
[4] G.W.F. Hegel „Phänomenologie des Geistes“, Philosophische
Bibliothek, Bd. 414. Hamburg: Felix Meiner, 2011.