Donnerstag, 22. Dezember 2016

Wissenschaft vom Nichtwissen - das SEIN ?




 "der letzte Mensch" F. Nietzsche,  Zeichnung G.L.



 Für das Pauliner Forum Dez. 2016

„Veränderung und Kontinuität“



So lautet das Thema, zu dem mich Markus Anker um einen Beitrag bat. Er, der über Jahre am Philosophicum teilgenommen hatte ahnte sicher, was da auf ihn zukommen wird:



Martin Heidegger – den Peter Sloterdijk als den Kyniker des 20ten Jahrhunderts bezeichnet[1]-  würde gesagt haben: Kontinuität hat das SEIN. Jenes Sein, das Friedrich Nietzsche im Bild einer Pforte, über der „Augenblick“ steht, erkannte und dabei zutiefst erschrak. Die Pforte liegt an der Kreuzung zweier Wege, einem, der aus unendlicher Vergangenheit kommt und einem, der in die ewiger Zukunft führt.[2]



Erschauernd erkannte er, wie der Augenblick – das Sein – die Vergangenheit die Zukunft verzehrt, sich wie eine Schlange im Menschen festbeißt, die (die Zeit) zu entreißen, er nicht wagte.



M. Heidegger zufolge ereignet sich das Sein im Dasein, das, bei aller Veränderung, immer schon da ist.



Sein als Dasein ist das Kontinuierliche, aus dem Zeit sich erst erschließen lässt, die, als vorhanden, wie ein Ding nicht vorausgesetzt werden kann.



Sein als Dasein ist immer bezüglich, auf das, worin es ist, von dem es kommt, auf das, worauf es sich bezieht.



Sein, als „sorgendes Dasein“ ist sich selbst immer schon voraus, es bezieht sich als Augenblick immer schon auf Zukunft. Sorgen heißt ja, sich fragen, was ich tun kann,

tun muss, tun werde, sein lasse ....



Das sorgende Dasein erschließt Zukunft ohne Schlussfolgerung, es bringt Zukunft aus dem Zustand der Sorge, aus sich selbst hervor. Das Sorgende des Daseins erschließt aus sich das Wissen, dass das immer so war und nie anders gewesen sein kann. Dass die Sorge eine andere war, andere Bezüge hatte, andere Sorge war, ergibt sich aus dem, dass sie immer schon ist.



Wieso führe ich dies hier aus? Aus der ausführlichen Sichtung des sorgenden Daseins konnte Martin Heidegger die Seinsvergessenheit unserer Gegenwart erkennen.



Um die Dimension dieser Kritik zu ermessen, ist die Heideggersche Unterscheidung von Dasein und Vorhandensein entscheidend. Im Dasein ist Fühlen und Denken in einem unentwirrbaren Gemenge das existenzbestimmende, während das Vorhandensein nur das ist, was äußerlich bleibt, die lexikalische, enzyklopädische Summe der Dinge, möglicher Ereignisse und Geschehnisse, eben das, was da draußen ist.



Die Verwechslung von Dasein mit Vorhandensein ist der Grund der kritisierten Seinsvergessenheit des Gegenwartsmenschen. Hier ließe sich einfach eine Kritik am materialistisch gierigen, konsumorientierten Zeitgenossen anschließen. Was aber nicht so gemeint ist, denn Heidegger kritisiert nicht, dass das so ist, sondern dass wir vergessen haben, auf das Sein zu hören, dass wir die Lichtung vor lauter Wald nicht mehr erkennen, wir keine Organe mehr ausgebildet haben, um auf die lauten wie leise Rufe des Seins zu hören.



Was das sein mag, lasse ich jetzt noch im Vagen.[3]



----------------------------------------------------------------(erster Teil Ende)



Markus, da Du mich kennst, musst Du auch gewusst haben, dass ich das Thema „Veränderung und Kontinuität“ weder in Bezug auf das Paulinum, noch in Bezug auf die Kirche ausführen werde. Dazu gibt es andere Berufene. Als stoisch geschulter Philosoph denke ich nur über das nach, was ich beeinflussen kann, nämlich meine Gedanken. Deshalb weiter im Text:



Ich komme jetzt zu Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der das Sein in unvermitteltes und vermitteltes Dasein scheidet. Dasein ist für ihn nicht das existenziell geworfen Sein, das Sein auf den Tod hin (M. Heidegger), sondern für ihn ist das Dasein von vorneherein und von Anbeginn ein Sein, das uns durch Sprache, Kultur, Ritus als Sein vermittelt ist.



Hegels denkendes Beobachten richtet sich ganz auf das, was geschieht, wenn ein Begriff, ein Wort, ein Zeichen gesetzt wird und was im Zuge dieser Setzung, Einführung, Bezeichnung, dieser Nennung geistig geschieht.



Sein Hauptwerk heißt ja bezeichnender Weise „Phänomenologie des Geistes“. Er knüpft in seinen Beobachtung an älteste menschliche Erfahrungen an, die im ersten Gebot gefasst sind und das ich jetzt ohne nachzuschauen, und mit der Bitte um philologisch theologische Absolution einfach: „Du sollst Dir kein Bild von Gott machen!“ nennen werde, bzw.: “Nenne Gott nicht mit Namen und wenn, gib ihm hundert Namen“.



Diese in einem Gebot gefasste Erfahrung ist die des Menschen, der seiner Sprache mächtig wird und sogleich das Übermächtige der Sprache wahrnimmt, die sich seiner Gefühle, Stimmungen, seiner Welt bemächtigt, sie ihm gibt und sie ihm entzieht. Indem er sie anstimmt, bestimmt sie ihn, bestimmt er die Welt, was da erklungen ist plötzlich da, was gebranntmarkt ist fort, das Tier, das er anspricht ist verscheucht, verjagt. Indem er es benennt, weiß er nicht mehr, ist es noch da, nur in ihm, hat er es eingefangen und gebannt oder hat es ihn gefangen .....



G.W.F. Hegel differenziert den Vorgang der Vermittlung des Seins aus und nennt den Vorgang „Negation“. Und genau an dieser Stelle findet in der Interpretation von Hegel das statt, was er anspricht: „Negation“. Denn diese „Negation“ wird meist als ein moralischer Begriff verstanden. Moral ist aber das genaue Gegenteil dessen, was Hegel mit „Negation“ sagt.



Der Begriff der Negation erwächst aus der erkenntnistheoretischen Einsicht der „Phänomenologie des Geistes“ – in der das Phänomen des Geistes befragt wird. Mit der Setzung eines Begriffes findet eine Grenzziehung statt. Diese Grenzziehung ist Negation, der die Ein- und Ausgrenzung folgt. So wie zu Weihnachten die Oma die Kekse aussticht und immer einen Restteig hat, so schafft jede Grenzsetzung als Negation sein Innen und Außen: Nur dadurch, dass es sich abgrenzt, ist es.



Das heißt bei Hegel: „Negation“! Damit geht aber der Vorgang einher, dass nicht nur das Eine das Andere schafft, sondern dass das Andere durch die Setzung des Einen bedingt ist. Dass nicht nur der Herr den Knecht bedingt, sondern der Knecht ebenso den Herren schafft, ihn zu seiner Existenz braucht.



Aber auch das Vermittelte und Unvermittelte bleibt durch die Vermittlung nicht unbeeinflusst. Das Vermittelte – das durch Sprache entstandene – wird als das  Unmittelbare, Natürlichste erlebt.



Diese erkenntnistheoretische Einsicht führte zu dem, was später summa summarum  „Dialektik der Aufklärung“ genannt wurde und das in einer Grafik von Francisco de Goya aus den Caprichos: „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ so schön dargestellt ist.



Ein Denker am Schreibtisch wird von den Geistern, die er rief, attackiert, von dem, was er ein- und ausgrenzte, verfolgt. Was wir über ihn, in der Nacht schwebend erkennen, das was ihn attackiert, ist dasselbe was Oma beim Keksebacken immer wieder zusammenknetet und noch mal ausrollt, wieder aussticht und den Rest nochmal verknetet, so lange bis sie nur noch Krümel vom Tisch wischt.



Denjenigen, die die Denkfolgen von Hegel über mehr als ein Jahrhundert als „Nihilismus“ abzuwehren versuchten, liegt der ungebackene Teig der Weihnachtskekse immer noch im Magen und verfolgt sie in der Nacht.



Die Naturwissenschaften bringen täglich abertausend neue Erkenntnisse hervor, so, dass Fachspezialisten oft nicht mal mehr wissen, wo ihre Kekse vom letzten Weihnachten geblieben sind, so komplex ist alleine Umfang, Zu- und Einordnung geworden. Krankheiten, Natur, und die soziale Wirklichkeit zeigen uns täglich was wir alles falsch machen.



Das Wissen hat im Schlepp die Angst, was können Bakterien, Viren, Gase, die Radioaktivität anrichten, was macht der Andere, ob aus Unvorsicht, Unwissen, Bosheit, Habgier oder in terroristischer Absicht.



Die Aufklärung und mit ihr die moderne Öffentlichkeit zeigt, was geschieht, wenn die Medien aus jedem Ereignissen und Unglück Weihnachtskekse backen wollen.



Die Politik gewinnt durch Öffentlichkeit und verliert durch sie, indem sie einerseits informiert, aber auch schwer manipuliert. Die Aufklärung forderte Information und Transparenz, heute versteckt sich hinter Transparenz Kontrolle. Information nützt dem Terror und verstärkt seine Sprengkraft giga-mäßig. 



Um nur einige Widersprüche aufzuzählen die uns G.W.F. Hegel durch seine scharfe Analyse der Phänomene des Geistes zu erkennen möglich machte.[4]



Nicolaus  Cusanus, Bischof von Brixen, der in einer noch nicht wahrgenommene Kontinuität des Paulinums steht, hat für die Sichtung und Diagnostik der Gegenwart, mit seiner Wissenschaft vom Nichtwissen (doctam ignorantiam), Entscheidendes bereitet.



Die oben angedeutete, von Hegel ausgearbeitet Sicht, auf das, was wir durch unser Wissen abgrenzen, ausgrenzen, zurückdrängen, nämlich unser Nichtwissen, erfordert eine erneuerte „Wissenschaft vom Nichtwissen“.



Bedeutend klingende Worte, die aber das Einfachste meinen und auch eine Ahnung von dem vermitteln was Heidegger „Seinsgewissheit“ – ein Widerspruch in sich - nannte.



Das, was wir wie selbstverständlich praktizieren, wenn wir eine Pflanze gießen, den Wald, das Meer, die Bäche, die Natur, unsere Gesundheit oder jemanden anderen pflegen. Über all das wissen wir viel, aber das Entscheidende tun wir im Vertrauen, dass es das Richtige ist. Ärzte und Lehrer wissen sehr viel über Medizin, Pädagogik und über ihr Spezialfach, handeln müssen sie mit Mut und Vertrauen, dass es gelingen mag! So etwas ganz Einfaches scheint mir die „De docta ignorantia“ zu sein. Die Wissenschaft der vertrauten Gewissheit in das eigene Schicksal und Tun und das Wissen darum – das kann auch Dummheit genannt werden – dass, wer handelt, auch etwas anrichten wird.[5]   






[1] Peter Sloterdijk „Kritik der zynischen Vernunft“, edition suhrkamp, 1983.




[2] Friedrich Nietzsche „Also sprach Zarathustra“ Kritische Studienausgabe, Hrsg. Giorgio Colli und Mazzino Montinari, de Gruyter, 1999.




[3] Martin Heidegger „Sein und Zeit“. Hrsg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1977.




[4] G.W.F. Hegel „Phänomenologie des Geistes“, Philosophische Bibliothek, Bd. 414. Hamburg: Felix Meiner, 2011.



[5] Nicolaus Cusanus „Philosophische und Theologische Schriften“ marixverlag GmbH, Wiesbaden, 2012.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen